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Grosbritannien: Ken Loach wirbt für eine neue Partei der linken Einheit

Der Neuformierungs- und Umgruppierungsprozess der Radikalen Linken ist in Grossbritannien in vollem Gang und weiter fortgeschritten als in den meisten anderen Ländern. Das ist gerade für die antikapitalistische Linke in Deutschland und der Schweiz von besonderem Interesse, da die hiesige sozio-ökonomische Lage wie auch die allgemeine Mentalität der Englischen mehr ähnelt als der Südeuropäischen. Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre mit all den zahlreichen Spaltungen und den Versuchen von Wiedervereinigungs- und Neuformierungsprozessen hat vor allem zwei neuralgische Punkte mit aller Deutlichkeit hervorgehoben: Erstens, die Bedeutung der Demokratiefrage, im Speziellen der organisationsinternen Demokratie und zweitens, dass ein Neuformierungsprozess sich immer auf einem schmalen Grad bewegt zwischen der notwendigen Abgrenzung gegenüber dem linken Sektierertum und der ebenso notwendigen Abgrenzung gegenüber reformistischer Beliebigkeit. In diesen zwei Punkten steht die Radikale Linke in allen Ländern vor der gleichen Herausforderung.


Von Alan Thornetts*
Eine Geschichte von Spaltungen
In den letzten 15 Jahren wurden gute Gelegenheiten für den Aufbau einer grösseren, gesellschaftlich relevanten Organisation der Radikalen Linken durch Sektierertum verpasst. Dies führte zu einer Reihe von Spaltungen, die ernsthaft die Glaubwürdigkeit eines solchen Projekts untergruben. Entscheidender Auslöser war in jedem Fall die Verletzung organisationsinterner Demokratie. Es ging darum, ob diese Organisationen ein eigenes politisches Leben und eigenständige Entscheidungsprozesse unabhängig von den beteiligten Gruppen oder einzelnen wichtigen Individuen an ihrer Spitze haben können.
Die Socialist Labour Party (SLP), gegründet von Athur Scargill, nachdem Tony Blair 1994 die Kontrolle über die Labour Party übernommen hatte, wurde zerrissen, weil Scargill auf persönlicher Kontrolle über die Organisation bestand und sich weigerte, Pluralismus zuzulassen. Die Socialist Alliance, die in den 90er Jahren entstand, umfasste zeitweise praktisch alle relevanten Gruppen der radikalen Linken, einschliesslich der SWP (engl. Schwesterorganisation von Marx21 in Deutschland) und der SP (Schwesterorganisation der SAV in Deutschland), sowie bedeutende Kräfte der Labour-Linken. Dieses Bündnis wurde gespalten, als die SP das Bündnis verliess, weil sie dagegen war, den Grundsatz “Ein Mitglied, eine Stimme” einzuführen.
Das Bündnis Respect wurde 2004 gegründet, nachdem George Galloway wegen seiner Opposition gegen den Irakkrieg aus der Labour Party ausgeschlossen worden war. Die Socialist Alliance löste sich darin auf. Respect hatte eine breitere Anziehungskraft, insbesondere auf die durch den Krieg radikalisierten Muslime, und schaffte es, dass mit Galloway der erste Abgeordnete links von der Labour Party seit den 40er Jahren ins Parlament gewählt wurde. Respect hatte auch bedeutende Gruppen von Stadträten, vor allem in London und Birmingham. Doch Respect spaltete sich, als die SWP sich weigerte, ihre bestimmende Rolle in der Organisation aufzugeben. Respect Renewal, die aus der Spaltung mit der SWP hervorging, wurde zerstört, als Galloway die Organisation unter seine Kontrolle bringen wollte und in eine Unterstützungsgruppe für sich selbst verwandelte. Als 2010 der Kampf gegen die Kürzungen der konservativen Regierung begann, wiederholten sich diese Spaltungen, diesmal im Rahmen von breiteren Einheitsbewegungen gegen die Sparpolitik.
Neue Umgruppierungsprozesse
Die jüngsten Entwicklungen haben diese Situation auf der Linken aufgebrochen, nun ergeben sich Möglichkeiten sowohl für den Aufbau einer breiten Partei links von Labour als auch für eine Einheit der radikalen Linken. Am spektakulärsten war der Aufruf des Filmregisseurs Ken Loach für eine neue Partei der Linken, den er anlässlich des Starts seines neuen Films, “The spirit of 45″ lanciert hatte. Der Film verteidigt entschieden sozialistische und kollektivistische Ideen und wurde ab Mitte März 2013 in 50 Kinos in England gezeigt. Innerhalb kürzester Zeit unterzeichneten ken6000 Menschen den Aufruf und es bildeten sich 90 Ortsgruppen mit unterschiedlichem Entwicklungsstand. Ein erstes landesweites Treffen dieses Left Unity genannten Projekts fand am 11. Mai 2013 statt, ein Gründungskongress ist auf Februar/März 2014 geplant.
Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, dass die neue Organisation eine breite, pluralistische Partei gegen die Krisenpolitik links von Labour sein soll, eine Partei, die nicht auf undemokratische Weise von einer Organisation der radikalen Linken dominiert werden soll. Die Partei soll auf individueller Mitgliedschaft basieren und kein Kartell von Organisationen und Gruppen sein. Eine Wahlstrategie wurde noch nicht diskutiert. Weder die SWP noch die SP sind an der Left Unity beteiligt, abgesehen von einzelnen Mitgliedern auf lokaler Ebene. Auch hat das Projekt keinen charismatischen Führer. Ken Loach wird es zweifellos weiterhin unterstützen, aber die Rolle als “Anführer” kommt für ihn nicht in Frage. Es gibt keine herausragenden Persönlichkeiten, das kann auf Wahlebene ein Nachteil sein, aber angesichts des Schadens, den solche Personen in der Vergangenheit angerichtet haben, hat das durchaus eine positive Seite. Es bedeutet, dass die Partei sich ihr Ansehen durch ihre Tätigkeit vor Ort erarbeiten muss.
Zusammenarbeit der radikalen Linken
Erste Schritte in Richtung auf mehr Einheit unter der radikalen Linken wurden im April 2012 mit der “Antikapitalistischen Initiative” (ACI) gemacht, die ursprünglich aus einer Abspaltung einer Gruppe von Workers Power (der Schwesterorganisation der deutschen GAM) entstanden war. Ende 2012 veröffentlichte sie einen Appell für eine offene und demokratischere Form radikaler linker Organisation. Einen zweiten Schub bekam dieser Ansatz durch eine Krise in der SWP im Januar 2013. Über einen grossen Streit über die Art und Weise wie ein Vorwurf schwerer sexueller Belästigung in der Organisation behandelt oder eher nicht behandelt wurde, traten 200 Mitglieder aus der SWP aus und gründeten das International Socialist Network (ISN), das Mitte April seine erste landesweite Konferenz abhielt, zu der auch Socialist Resistance (RS) und ACI eingeladen waren. Der Niedergang der SWP, was immer man davon hält, hat die Landschaft auf der radikalen Linken verändert und eröffnet neue Möglichkeiten für ihre Neuformierung. Auch die ISN spricht sich für ein offeneres und demokratischeres Organisationsmodell aus, sie unterstützt auch die Initiative von Ken Loach. Die Krise der SWP geht unterdessen weiter, und es wird erwartet, dass noch weitere Teile die Organisation verlassen.
Die drei Organisationen ISN, ACI und RS reden offen über einen Zusammenschluss auf der Basis einer offenen und authentischen demokratischen Organisationskultur. Damit findet in der radikalen Linken Englands ein tiefgreifender Wandel statt, und man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
* Der Beitrag, den wir von der Homepage des NaO-Prozesses (Gründung einer Neuen antikapitalistischen Organisation in Deutschland) entnehmen, erschien gekürzt und leicht geändert in der SoZ (Juli/August).

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